"Wir sprechen als Ärzte immer häufiger mit Patienten, die sich entweder im Internet über Erkrankungen und Therapien informieren oder die ihre Mobilgeräte für die Aufzeichnung von Gesundheitsdaten nutzen, und sei es nur zu Fitnesszwecken", sagt Dr. Philipp Stachwitz, Spezialist für Anästhesie und Schmerztherapie am Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe in Berlin. Gerade die Schmerztherapie ist eine jener Domänen, in denen der oft beschworene Patient 2.0 in den letzten Jahren zunehmend Wirklichkeit geworden ist: Digitale Schmerztagebücher werden genauso nachgefragt wie Social-Media-Angebote, die dem Erfahrungsaustausch der Betroffenen dienen.
Gesucht: Neue Ideen, neue Geschäftsmodelle
Traditionelle Gesundheits-IT-Anbieter können dieser Aufgeschlossenheit der Patienten gegenüber neuen Technologien oft wenig entgegensetzen: "Das sind bisher zwei völlig getrennte Welten", betont Matthias Zippel, der beim diesjährigen conhIT-Kongress eine Session zu "Gesundheitsdaten, Wearables, Apps und Smartphones" leitet (Mittwoch, 15. April 2015, 9.30 Uhr ). Er plädiert stark dafür, dass sich die IT-Hersteller viel stärker als bisher mit diesen neuen Themen auseinandersetzen. "Wir haben auf der einen Seite den boomenden Markt für Wearables und Smartphone-Apps, auf der anderen Seite einen Gesundheits-IT-Markt, der sich in einem staatlich geschaffenen Rahmen abschottet."
Für Zippel stellt sich angesichts dieser Konstellation die Frage, ob die Gesundheits-IT-Branche nicht Gefahr läuft, am Bedarf vorbei zu entwickeln: "Es wird zu viel über sinkende Umsätze geklagt, und es gibt zu wenige neue Ideen und Geschäftsmodelle." Bei der conhIT 2015 sollen einige Denkanstöße geliefert werden. Thematisiert werden unter anderem technische Konzepte zur Online-Bereitstellung von Gesundheitsdaten, mögliche Einsatzszenarien aus Sicht eines Kostenträgers sowie rechtliche und ethische Fragen der freiwilligen Bereitstellung von medizinischen Daten durch die Patienten.
Social Media-Engagement zahlt sich aus
Aus Sicht der medizinischen Einrichtungen stellt sich im Social Media-Zeitalter angesichts begrenzter IT-Budgets nicht zuletzt die Frage, welches Engagement den meisten Nutzen bringt. Dr. Peter Müller von der Stiftung Gesundheit, der gemeinsam mit Stachwitz die conhIT Session "Patient Empowerment durch Social Media und die Kommunikationsarbeit der Kliniken" (Mittwoch, 15. April 2015, 11.30 Uhr) leitet, ist überzeugt davon, dass sich Engagement in digitale Patientenkommunikation für Krankenhäuser auszahlt: "Es gibt einen gewissen Wettbewerb zwischen den Krankenhäusern, und insbesondere bei elektiven Eingriffen wählen viele Patienten den Anbieter bewusst aus."
Punkten können Müller zufolge unter anderem jene Einrichtungen, die den Patienten im Vorfeld solcher elektiven Eingriffe umfassend informieren. Wie das unter Einsatz von Internet- und mHealth-Anwendungen geschehen kann, macht beispielsweise das Universitätsklinikum des Saarlands vor. Hier werden seit einigen Monaten an der Klinik für Thorax- und Herz-Gefäß-Chirurgie im Rahmen des Patientengesprächs per iPad-Anwendung individuelle, multimediale Informationsdokumente erzeugt, die der Patient zu Hause durcharbeiten kann, um optimal auf den Eingriff vorbereitet zu sein.
Online-Termine auf dem Vormarsch
Ein weiteres, großes Thema aus dem Bereich der digitalen Patientenkommunikation ist für Müller das digitale Terminmanagement, und zwar sowohl für Krankenhäuser als auch für Arztpraxen: "Hier wird die Welt in fünf Jahren ganz anders aussehen als heute", prognostiziert er. Bisher bieten vorsichtigen Schätzungen zufolge nur etwa 5.000 niedergelassene Ärzte in der einen oder anderen Form Online-Terminbuchungen an - bei insgesamt weit über 200.000 Ärzten, die ambulant tätig sind.
"Das wird sich in den Arztpraxen rasch ändern, und auch für Krankenhäuser werden Online-Termine in den nächsten Jahren wichtiger", ist sich Müller sicher. Stachwitz sieht das ähnlich: "Der Anspruch der Patienten wächst, und das Verständnis für fehlende digitale Angebote sinkt." Die Zukunft dürfte dabei weniger monothematisch agierenden Service-Providern als umfassenden Dienstleistern gehören, die Einrichtungen bei unterschiedlichen Online-Angeboten unterstützen. Umfangreiches Prozess-Knowhow ist dabei genauso wichtig wie das Wissen um Standards und Interoperabilität. Aus Sicht der Industrie bieten sich hier sowohl jungen, innovativen Unternehmen als auch etablierten Healthcare-IT-Spezialisten Chancen auf interessante neue Geschäftsfelder.
Über die conhIT - Connecting Healthcare IT
Die conhIT richtet sich an Entscheider in den IT-Abteilungen, im Management, der Medizin und Pflege sowie an Ärzte, Ärztenetze und Medizinische Versorgungszentren, die sich über die aktuellen Entwicklungen von IT im Gesundheitswesen informieren, Kontakte in der Branche knüpfen und sich auf hohem Niveau weiterbilden wollen. Als integrierte Gesamtveranstaltung mit Industrie-Messe, Kongress, Akademie und Networking-Events bündelt sie an drei Tagen die Angebote, die für die Branche attraktiv sind. Die conhIT wurde 2008 vom Bundesverband Gesundheits-IT - bvitg e.V. als Branchentreff der Healthcare IT initiiert und wird von der Messe Berlin organisiert. 2014 konnte die conhIT mit 359 Ausstellern und 6.500 Besuchern ihre Position als Europas wichtigste Veranstaltung rund um IT im Gesundheitswesen weiter ausbauen.
Die conhIT wird in Kooperation von den Branchenverbänden Bundesverband Gesundheits-IT - bvitg e. V., GMDS (Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie) e. V., BVMI (Berufsverband Medizinischer Informatiker) e. V. sowie unter inhaltlicher Mitwirkung von KH-IT (Bundesverband der Krankenhaus-IT-Leiterinnen/Leiter) e. V. und ALKRZ (Arbeitskreis der Leiter der Klinischen Rechenzentren der Universitätskliniken Deutschland) gestaltet.