Das Forum wird seit vielen Jahren in enger Kooperation der Messe Düsseldorf mit dem IVAM durchgeführt und gibt stets ein paar Monate im Voraus einen Ausblick auf aktuelle Themen der international führenden Fachmesse für die Zulieferer der Medizintechnikindustrie, die COMPAMED in Düsseldorf (nächster Termin: 15. - 18. November 2021, parallel zur MEDICA 2021).
Eine große Anzahl von Tests in sehr kurzer Zeit
Mikrofluidische Komponenten erlauben die schnelle Durchführung einer Vielzahl von Experimenten im so genannten High-Throughput-Screening (HTS). Dies ermöglicht es, eine große Anzahl von Tests in sehr kurzer Zeit zu realisieren, um beispielsweise die Wirksamkeit von Medikamenten oder Impfstoffen an lebenden Zellen zu testen. Die Geschwindigkeit und Genauigkeit der Tests wird unter anderem durch die Mikrostrukturen erreicht, die eine wesentlich bessere Kontrolle der physikalischen und chemischen Parameter (z.B. Temperatur, Druck, Reaktionszeit) zulassen. Ein weiterer Vorteil dieser kleinen Strukturen ist die geringe notwendige Probenmenge und der sparsame Verbrauch von Reagenzien. In den letzten Monaten wurden in sehr kurzer Zeit neue Produkte und Medikamente entwickelt. Ohne mikrofluidische Bauteile wäre dies nicht möglich gewesen. Geräte und Komponenten wie Lab-on-a-Chip, mobile Diagnosegeräte oder chemische Mikroreaktoren helfen bereits bei der Bekämpfung der Pandemie.
Optimierungspotenzial einerseits - entscheidende Rolle andererseits
Mikrofluidische Plattformen sind für eine schnelle Entwicklung und Kommerzialisierung von Point-of-Care-Tests (PoCT) grundsätzlich gut geeignet. Allerdings stellt der "ideale" PoC-Test eine große Herausforderung dar: Er soll nicht nur erschwinglich, empfindlich, spezifisch und benutzerfreundlich sein, sondern auch schnell, robust, gerätefrei und an Endanwender lieferbar. Die in der Pandemie eingesetzten Tests zeigen, dass die verschiedenen Methoden unterschiedliche Grenzen haben und noch Verbesserungsbedarf besteht. So sind PCR-Tests zeitintensiver, benötigen ein Auswertungslabor, was die Methode teuer macht und den Durchsatz einschränkt. Die Antigen-Tests sind dagegen nur gering sensitiv und liefern teils falsch-negative Ergebnisse. Auch Antikörper-Tests für den Nachweis einer bereits ausgestandenen Infektion verfügen nur über eine begrenzte Empfindlichkeit. „Diese Einschränkungen zeigen, dass es im Testen nicht die eine >magische Silberkugel< gibt“, konstatiert Dr. Holger Becker, Chief Scientific Officer von microfluidicChipShop. Der Fachmann ist dennoch überzeugt, dass PoCT einen nachhaltigen Schub erhalten und Mikrofluidik vor allem bei molekularen Tests eine entscheidende Rolle spielen wird.
`Point-of-Care-Tests´: Ein wichtiges Werkzeug in der Pandemie
Künftig ist davon auszugehen, dass zusätzliche Technologien im PoCT-Bereich entstehen, die sich vor dem Hintergrund der Pandemie jetzt leichter durchsetzen könnten. Dabei geht es im Einzelnen um direkte bildgebende Verfahren, die möglicherweise mit Künstlicher Intelligenz (KI) kombiniert werden, oder Si-basierte Sensoren (z.B. Silizium-Photonik). Ein relativ neues Instrument ist die „CRISPR-Diagnostik“ (CRISPR steht für Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats) zur Identifizierung spezifischer RNA-Sequenzen. Beim Nachweis von RNA-Viren hat man üblicherweise nur relativ kurze Stücke genetischen Materials zur Verfügung, in denen es eine virusspezifische genetische Sequenz zu detektieren gilt. Bei der CRISPR-Diagnostik wird ein Cas-Enzym und ein fluoreszenz-gelabeltes Reporter-RNA-Molekül eingesetzt. Ist die Ziel-RNA in der Probe, fängt das Cas-Enzym an, die RNA sowohl von dem Traget als auch dem Reporter-Molekül zu zerschneiden, wodurch das Farblabel freigesetzt wird und detektiert werden kann. Es handelt sich dabei also um einen indirekten Nachweis, der aber den Vorteil hat, sehr spezifisch zu sein. „Grundsätzlich gilt: PoCT wird eine steigende Nachfrage erleben und ein wichtiges Werkzeug im Umgang mit Pandemien werden“, fasst Holger Becker zusammen.Davon profitieren dürften Unternehmen wie microLIQUID (aus Spanien), das sich auf kundenspezifische Mikrofluidik-Anwendungen spezialisiert hat und über Knowhow für die gesamte Kette vom Produktkonzept und der Entwicklung über die Einführung des neuen Produktes bis hin zur Fertigung verfügt. „Häufig ist gerade die Umsetzung eines Prototyps in Massenproduktion der entscheidende Flaschenhals“, erklärt Dr. Luis Fernéndez, CTO von microLIQUID, eine zentrale Herausforderung, für die Lösungen gesucht werden.
Innovation wird in den Bereichen Life Sciences, Biotechnologie und Analytik durch den steigenden Kostendruck vorangetrieben. Das Vorbereiten von Proben, das Generieren und Bearbeiten von immer größeren Datenmengen sowie immer kürzere Durchlaufzeiten - das alles führt zu einer stetigen Miniaturisierung wichtiger Komponenten in Glas und Plastik. Flow Cells, Biochips, Lab-on-a-Chip-Komponenten, Gitter, integrierte Elektroden und Mikrokanäle, Küvetten: Viele Komponenten aus der Biophotonik und der Mikrofluidik weisen funktionelle Schichten im Mikro- und Nanobereich auf.
Wo Mikrofluidik, Biotechnologie und Optik sich überlappen und eine multidisziplinäre Vorgehensweise sowie ein breites Portfolio an Prozessen erfordern, sieht sich die schweizerische IMT Microtechnologies als idealer Partner. „Die Übertragung eines Assays in eine mikrofluidische Lösung erfordert ein tiefes Verständnis des Analyten und der Methoden, um ihn zu isolieren bzw. auf einer Oberfläche innerhalb des Kanalnetzwerks anzudocken, das Identifizieren des geeigneten Transduktionsmechanismus sowie der benötigten Prozesse und Materialien“, beschreibt Dr. Alexios Paul Tzannis, Business Development Manager vom IMT, einen Teil der komplexen Aufgabe. Dabei ermöglicht die Kombination von komplexer Strukturierung auf und in Glaswafern mit neuartigen Methoden in der Oberflächenchemie innovative Verbrauchsmaterialien für Life Science und Diagnostik.
Flüssigkeitssteuerung im Nanoskalenbereich
Fluigent aus Frankreich bietet eine breite Palette an Lösungen für den Einsatz in mikro- und nanofluidischen Anwendungen an, deren Zielsetzung in mehr Kontrolle, Automatisierung, Präzision und Benutzerfreundlichkeit liegt. „Die Mikrofluidik ebnet den Weg für die Point-of-Care-Diagnostik. Es geht um tragbare, schnelle und präzise Instrumente, die die Fähigkeiten eines medizinischen Labors in die Hände des Anwenders am Ort des Geschehens legen, also z. B. in einem Operationssaal“, kommentiert Jaques Pechdimaljian, OEM Product Manager bei Fluigent, die Ausrichtung. Diese lautet, anders ausgedrückt: Flüssigkeitssteuerung bis hinunter in den Nanoskalenbereich. Da Mikrodruckerzeugungs- und -regelungsgeräte immer beliebter werden, sieht Fluigent Schwerpunkt und Mehrwert in der Anpassung von Teilkomponenten für PoC-Geräte. Diese betreffen tragbare Geräte (batteriebetrieben, kompakt und leicht) ebenso wie präzise Geräte (Flussstabilität, Genauigkeit) sowie zuverlässige Systeme (Vermeidung von Verstopfung, Verschmutzung, Blasen, etc.). Die Einsatzmöglichkeiten solcher Geräte reichen über die Medizintechnik (Ambulante Prüfung von Blutthrombosen im Operationssaal) weit hinaus. Anwendungsfelder sind ferner der Nachweis von Verunreinigungen in der Lebensmittel- und Getränkeherstellung oder das Schwermetall-Screening von kommunalem Wasser.
Corona-Antikörper quantitativ messen mit PoC-Geräten
Eine weitere Lehre aus der Pandemie lautet: mRNA-Impfstoffe konnten sehr schnell entwickelt und angepasst werden, aber ihre Produktion und Logistik sind schwierig. Das Upscaling zu den großen benötigten Mengen kostete Zeit. Zudem gibt es noch keine gesicherte Aussage darüber, wie lange die Immunität durch die Impfstoffe anhalten wird. Deshalb wäre es äußerst hilfreich, könnten PoC-Geräte Antikörper quantitativ messen. Die Anforderungen wären hoch: Nur ein Tropfen Blut aus einer Fingerspitze müsste genügen, die Resultate der Messung nach kurzer Zeit (unter 20 Minuten) zur Verfügung stehen. Die Messung sollte hoch sensitiv und spezifisch sein, bei digitaler Erfassung und Verarbeitung der Messdaten. Doch wie könnten derartige Lösungen verwirklicht werden zum Beispiel durch nicht zu sperrige Geräte sowie zu vertretbaren Investitionskosten und einem akzeptablen Energie- und Reagenzverbrauch?„Um die Vorteile der Mikrofluidik am PoC besser zu nutzen, müssen wir von aktiven fluidischen Komponenten mit geringerem Gewicht und kleineren Abmessungen ebenso Gebrauch machen wie von einer Energieversorgung über Batterien und kleinen Fluidik-Volumina, die Systeme ermöglichen, um Reagenzien sparen“, erklärt Florian Siemenroth von Bartels Mikrotechnik. Nach Angaben des Unternehmens und den beteiligten Partnern mementis, microfluidic ChipShop, Honeywell und Sensirion lägen „alle Teile des Puzzles“ auf dem Tisch, um aktive Mikrofluidik-Systeme zu realisieren. Eine Vielzahl von Standardkomponenten sei verfügbar und könnte in ein ultrakompaktes und intelligentes System integriert werden. Dazu zählen u.a. Miniatur-Ventile, intelligente Pumpen und ihre Steuerung, Durchfluss-Sensoren, Reagenzbehälter und ein Schlauchsystem. Diese bereits zur Verfügung stehenden Komponenten und die daraus generierbaren Systeme weisen die gewünschten Vorteile auf: Sie erlauben die Automatisierung von fluidischen Prozessen mit handelsüblichen Komponenten, sie weisen einen geringen Stromverbrauch und ein geringes internes Volumen auf, das gesamte System ist ultra-kompakt und passt auf ein 96-Mikrotiter-Plattenformat (etwa 128 mal 85 Millimeter). Zudem können derartige Aktivsysteme für Kosten ab wenigen hundert Euro hergestellt werden.
„Smart Fabs“ für die künftige Entwicklung von Impfstoffen und Medikamenten
Aus der Pandemie resultiert nicht nur eine wachsende Nachfrage nach lebenswichtigen medizinischen Produkten sowie moderner Verfahren zur Herstellung fortschrittlicher Therapeutika und Impfstoffe. Darüber hinaus hat sich ein starker Bedarf an dezentralen Arbeitsmodellen entwickelt, was nicht nur die Branche Medizintechnik betrifft. Um dem enormen Zeitdruck zu entsprechen, mussten „Smart Fabs“ (Smarte Produktionen) in weniger als 12 Monaten aufgebaut werden. „Das kann nur mit den Erfolgsfaktoren hoher Durchsatz und Zuverlässigkeit, vollständige Automatisierung sowie Volumen- und Kosteneinsparungen gelingen“, so Dr. Gina Greco, Life Science, Diagnostics, Analytical Market Manager beim Schweizer Sensorspezialisten Sensirion.Die Pandemie-Erfahrungen zeigen, dass die Life-Science-, Diagnose- und analytischen Instrumente weiter optimiert werden müssen. „Mikrofluidische Systeme zusammen mit Sensoren sind eine Schlüssellösung“, betont Greco. Sensirion sieht sich selbst als Experte für diese Bauteile, deren breites Portfolio ideal zur Bewältigung der industriellen Herausforderung von heute passt. So finden sie in einer pharmazeutischen Fabrik in allen Bereichen Anwendung - ob in Forschung und Entwicklung, Herstellung oder auch hinsichtlich der Qualitätskontrolle sowie intelligenter Logistik.
COVID-19 und die sehr schnelle Entwicklung wirksamer Impfstoffe haben den Fokus auf Mikrofluidik und angegliederte Themengebiete gelegt. Mikrosysteme, die kleinste Flüssigkeits- und Gasmengen sicher handhaben können, sind aus der Medizintechnik nicht mehr wegzudenken. Das COMPAMED Innovationsforum 2021 und die beteiligten Experten aus den Unternehmen zeigten spannende Beispiele auf und förderten damit zugleich die Lust auf den Mix an Themen und Produktneuheiten der COMPAMED 2021 im November: von Mikrotechnik über neue Materialien bis hin zu Verpackungslösungen für die Medizintechnik und Antworten auf alle Fragen, die sich entlang der Prozesskette der medizintechnischen Produktentwicklung und Fertigung ergeben.
Informationen zur COMPAMED 2021 (15. - 18. November) online: https://www.compamed.de.