Das Untersuchen von Gewebeproben gehört zu den wichtigsten Verfahren in der Pathologie, um verschiedene Arten von Krankheiten, wie zum Beispiel Krebs, nachzuweisen und zu erforschen. Um die Gewebeprobe zu untersuchen, werden auf hauchdünnen Gewebeschnitten Antikörper aufgebracht. Nach einem Schlüssel-und-Schloss-Prinzip docken diese spezifischen Antikörper gegebenenfalls an die zu ihnen passenden Krankheitsmarker im Gewebe an. Durch chemisches Anfärben der Antikörper und anschliessender Analyse der Grösse und Intensität der Verfärbungen auf dem Gewebe lässt sich so ein Nachweis für Krankheiten und deren Schweregrad erbringen.
Das aufwändige Nachweisverfahren umfasst viele einzelne chemische Schritte, die sehr sorgfältig ausgeführt werden müssen. Ähnlich wie bei einer Fotografie, die entwickelt wird, kann nämlich zuviel Lösung oder eine zu lange Entwicklungszeit das Ergebnis verfälschen. Dies kann zu falsch-positiven oder falsch-negativen Resultaten und somit zu Fehldiagnosen führen. Gemäss einer vom John Hopkins Klinikum veröffentlichten Studie haben Pathologen nach einer nochmaligen Überprüfung von über 6000 Gewebeproben bei 86 Proben der ursprünglichen Diagnose nicht zugestimmt.*
Die Probeentnahme - Biopsie - stellt einen invasiven Eingriff dar, bei dem kleine Gewebestücke, oft nur einige Millimeter gross, entnommen werden. Aus diesen versuchen Pathologen möglichst viele Informationen mittels der Nachweisverfahren zu gewinnen. Häufig stellt es eine Herausforderung dar, genügend Tests mit der geringen Menge an verfügbarem Probenmaterial durchzuführen, um ein vollständiges Bild zu erhalten.
"Mit Blick auf klinische Proben ist es wichtig, eine bestmögliche Diagnose zu sichern, aber gleichzeitig auch dem Patienten durch die Entnahme so wenig wie möglich zu beeinträchtigen. Mit der IBM Technologie wird es möglich, beiden Bedürfnissen gerecht zu werden", erklärt Prof. Dr. Ali Khademhosseini von der Medical School der Harvard Universität. "Mit der Siliziumsonde können sehr kleine Stellen auf der Gewebeprobe gezielt und kontrolliert mit buchstäblich jedem Antikörper untersucht werden. Die Technologie erlaubt es viele verschiedene Tests auf einer kleinen Probe durchzuführen, was die Zuverlässigkeit der Diagnose erhöht. Die Arbeit könnte die Diagnose diverser Krankheiten, von Krebs bis zu Herz-Kreislauferkrankungen, nachhaltig verändern."
Innovative Mikrotechnologie für die Medizin
Die 8-Millimeter-breite rautenförmige Siliziumsonde besteht aus einem "Düsenkopf" mit zwei Mikrokanälen, einem Auslasskanal, um Flüssigkeit zur Probe zu leiten, und einem Einlass, um Flüssigkeit abzusaugen und zu vermeiden, dass die Probe "überflutet" wird. In der Flüssigkeit enthaltene Antikörper können durch dieses Prinzip kontrolliert sowie zuverlässig und mikrometergenau auf die Probe aufgetragen werden. Dabei sind beliebige Muster, Punkte oder Linien möglich. Für einen Punkt sind nur wenige Picoliter-Flüssigkeit, etwa 10000-mal weniger als eine Träne, nötig.
"Unsere Technologie, die Know-how aus der Halbleitertechnologie, Mikro- und Nanotechnologie zusammenbringt, eröffnet der Medizin einen zukunftsweisenden Weg", sagt Govind Kaigala, Wissenschaftler bei IBM Research - Zürich.
Prof. Khademhosseini fügt an: "Ich bin überzeugt, dass dieser Ansatz uns erlauben wird, noch mehr Informationen aus noch kleineren Biopsieproben zu gewinnen."
Die IBM Technologie lässt sich problemlos in heutige Laborabläufe integrieren und ist kompatibel mit den üblichen biochemischen Testsystemen. Durch die geringe Grösse der Sonde lässt sich die Probe zudem sehr gut mit dem Mikroskop betrachten und wird nicht etwa verdeckt.
Nebst der Weiterentwicklung der Technologie fasst das IBM Team erste praktische Anwendungen mit interessierten Partnern auf dem Gebiet der Pathologie ins Auge.
* Quelle: Johns Hopkins Health, Fall 2010, http://www.hopkinsmedicine.org/bin/i/t/4E7A8F853E3664E4CDB181EF051A0346.pdf
Die Arbeit „Micro-immunohistochemistry using a microfluidic probe“ von Robert D. Lovchik, Govind V. Kaigala, Marios Georgiadis und Emmanuel Delamarche, wurde Online in Lab on a Chip, DOI: 10.1039/C2LC21016A, 12. Januar 2012 publiziert.