Der Patient fühlt sich abgespannt und müde, er hat immer wieder Fieber, dabei liegt die Erkältung schon eine Weile zurück. Der Arzt schlägt vor, ein Differentialblutbild zu machen, um der Ursache auf die Spur zu kommen. Er entnimmt Blut und lässt es im Labor untersuchen - ein Routineverfahren in der medizinischen Diagnostik. Im Diffentialblutbild werden die Leukozyten - weiße Blutkörperchen - im Blut quantitativ und qualitativ beurteilt. Die ermittelten Werte unterstützen die weitere Diagnose und stellen wichtige Indikatoren für Störungen dar, etwa für Entzündungen, Allergien, aber auch Parasiten- oder Autoimmunerkrankungen. Üblicherweise werden Blutproben zunächst mit Hilfe von Blutbildautomaten ausgewertet. Ergeben sich jedoch Auffälligkeiten in der Probe, muss die MTA die auffälligen Zellen manuell beurteilen – eine zeitaufwändige Methode. Für die ausgebildete Fachkraft am Mikroskop heißt das zählen, zählen, zählen.
Wissenschaftler vom Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen IIS in Erlangen haben mit HemaCAM ein System entwickelt, das die Auswertung von Blutbildern automatisiert und gleichzeitig die Qualität der Befunde steigert. Das Gerät wurde in Zusammenarbeit mit der Firma Horn Imaging GmbH entsprechend der Medizinprodukte-Richtlinien zugelassen. "Die Kernidee war, ein Mikroskop mit digitaler Bildauswertung zu koppeln", erklärt Dr. Christian Münzenmayer, Gruppenleiter für Medizinische Bildverarbeitung am IIS. "Während bestehende Methoden wie die Durchfluss-Zytometrie auf physikalischen Messmethoden beruhen, ahmt HemaCAM den Menschen nach.« Wie ein menschliches Auge blickt eine Kamera durch das Mikroskop. Eine Bildauswertungssoftware analysiert bis zu acht auffällige Blutausstriche automatisch und unterbreitet Klassifizierungsvorschläge.
"Dazu haben wir unser System mit Expertenwissen trainiert. Im Hintergrund liegt eine Datenbank, in die jede Zelle per Hand eingegeben wurde. Algorithmen im Rechner nutzen diese Datenbank, um die aktuell aufgenommenen Zellen zu analysieren und vorzusortieren. Jede auffällige Zelle kann einzeln in 100-facher Vergrößerung dokumentiert werden. Die MTA im Labor überprüft nur noch das Ergebnis, verifiziert es und gibt es dann frei. Der Befund wird anschließend ins Laborinformationssystem eingespeist und der Laborleiter kann dann den Befund ausstellen", beschreibt der Experte die Arbeitsweise des neuen Diagnosesystems, das den Arbeitsablauf im Labor effizienter macht.
Von der Idee bis zur kompletten Umsetzung in ein serienreifes Produkt vergingen mehr als sechs Jahre Entwicklungszeit. Seit Anfang Oktober wird das Mikroskopiesystem HemaCAM von der Firma Horn Imaging GmbH vertrieben und in Fachlaboren europaweit installiert. Doch die Fraunhofer-Forscher arbeiten schon an weiteren Verbesserungen, die sie auf der Medica 2010 vorstellen. So ergänzt der Leiter der Abteilung Bildverarbeitung und Medizintechnik, Christian Weigand: "Neu ist, dass wir jetzt ein Slide-Handling-System integriert haben. Damit sind wir in der Lage bis zu 200 Objektträger automatisch auszuwerten und zu analysieren. Hinzu kommt als weitere Softwarekomponente eine Analyseunterstützung für die Morphologie des roten Blutbildes. Damit lassen sich etwa Anämien diagnostizieren; gleichzeitig liefert das rote Blutbild Hinweise auf Leber- oder Nierenschäden, Stoffwechselerkrankungen und Mangelerscheinungen."